«Wir Physios müssen uns endlich bewegen» – Felicitas Frank

Die Digitalisierung hält in der Physiotherapie rasant Einzug. Felicitas Frank ist Geschäftsführerin der Physiotherapie Frank in Brugg AG und Präsidentin des SVOMP Schweizerischer Verband für Orthopädische Muskuloskelettale Physiotherapie. Sie setzt sich auch auf nationaler Ebene für die Interessen der Physiotherapie Schweiz ein. Dabei spielt die Digitalisierung eine zentrale Rolle.

Die Branche ächzt unter niedrigen Tarifen. Da mag schon mal die Lust auf Neues auf der Strecke bleiben. Die Digitalisierung verspricht Erleichterung und mehr Profitabilität. Doch: Ist das tatsächlich so? Oder ist die Digitalisierung im ersten Moment kostentreibend und zeitaufwändig?

«Jede Umstellung bedingt einen Initialaufwand. Wir Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten müssen lernen, die positiven Seiten einer Entwicklung zu sehen, die wir so oder so nicht stoppen können», sagt Felicitas Frank. Sie beantwortet im folgenden Interview einige Fragen zur Digitalisierung der Physiotherapielandschaft Schweiz.

Was bedeutet Digitalisierung in der Physiotherapie?
«Das betrifft mehrere Bereiche. Es geht beispielsweise um Programme für Patient:innen, die wir ihnen zur Verfügung stellen können und in denen sie ihre Trainingsresultate und Fortschritte zur Erfolgskontrolle erfassen können, sowie um Programme zur Unterstützung im Alltag und fürs Selbstmanagement. Es geht auch um Remote-Behandlungen per App. Und es geht nicht zuletzt um die Patientendokumentation, die in vielen Fällen noch handschriftlich passiert. Und genau bei der elektronischen Patientendokumentation geht es auch um die Interaktion mit anderen Playern im Gesundheitswesen; Stichwort interprofessioneller Austausch.»

Hat die Interaktion mit den Ärzten Potenzial?
«Hier liegt enormes Potenzial. Grundsätzlich wäre sie heute bereits wichtig. Patient:innen könnten besser und effizienter behandelt werden, wenn wir Physiotherapeut:innen mehr Austausch mit den Ärzten hätten. Entscheidungen könnten rascher und zielführender getroffen werden. Es gäbe weniger Leerläufe. Es wäre ein Miteinander, denn alle Beteiligten würden Entscheide aufgrund derselben aktuellen Datenbasis fällen. Das Gesundheitswesen hinkt hinterher und das zulasten der Patient:innen und der Bevölkerung generell. Denn über Krankenkassenprämien finanzieren wir das alle mit. Ich spreche nicht von den 80 Prozent der Behandlungen, die problemlos verlaufen. Ich spreche von der restlichen 20 Prozent, bei denen nicht alles nach Schema X verläuft.»

Warum findet der Austausch zwischen Physio, Arzt und Patient reduziert statt?
«Wir kommen jetzt auf den Punkt der Tarife zu sprechen. Die verstärkte Interaktion mit Ärzten und auch mit den Patienten wäre essenziell – aber niemand bezahlt sie. Diese Arbeit wird von den Kostenträgern weder gewünscht noch wertgeschätzt. In der Physiotherapie haben wir keinen Tarifposten, der diese Koordination und Administration abdeckt. Das bedeutet, wir erledigen solche Arbeiten in unserer Freizeit. Wo immer möglich, machen wir das wegen des Anspruchs an unsere Arbeit und für unsere Patienten. Aber wir können das längst nicht flächendeckend umsetzen. Wenn wir zu viel solcher Tätigkeiten in unserer Freizeit durchführen, setzen wir damit ein falsches Zeichen. Was nichts kostet, ist nichts wert. Ein professioneller Austausch soll zeitlich abgegolten, finanziell honoriert und somit wertgeschätzt werden.»
Wie wichtig ist die elektronische Patientendokumentation?
«Sehr wichtig. Wenn ich von einem interprofessionellen Austausch zwischen Hausarzt, Spital, Physiotherapeut und anderen Therapeuten spreche, so schliesst das eben auch die Integration der Patient:innen mit ein. Dann reden wir von einem elektronischen Patientendossier EPD. Der Patient der Zukunft will über seine Gesundheit informiert sein. Er ist sein eigener Gesundheitsmanager. Deshalb braucht es Instrumente, welche diese Interaktion möglich machen.»

Was hat die elektronische Patientendokumentation für einen Mehrwert?
«Wir haben die webbasierte Dokumentationssoftware FysioRoadmap frisch im Einsatz. Bei FysioRoadmap wird der gesamte Behandlungsverlauf angezeigt. Ein ganz wichtiger Punkt für uns Physiotherapeut:innen ist, dass wir nicht nur eine Woche zurückblicken können. Wir müssen den Verlauf und wichtige gesundheitliche und soziale Parameter über einen längeren Zeitraum nachvollziehen können. Denn wie oft stellen wir uns die Frage: Was haben wir dazumal abgemacht? Bislang müssen wir das mühsam zusammentragen. Bei FysioRoamap ist das per Klick möglich. Damit ist diese Software intuitiv. Man muss nicht alles selbst raussaugen.»

Was halten Sie von den evidenzbasierten Behandlungsprotokollen in FysioRoadmap?
«Diese sind viel Wert, wenn man den Umgang damit gewohnt ist. In einem ersten Moment denkt man schon, dass die Vorgaben die Verantwortung, das Mitdenken und das Entscheiden von den Therapeut:innen wegnehmen. Das braucht eine Sensibilisierung, denn das Gegenteil ist der Fall. Diese evidenzbasierten Behandlungsprotokolle geben einen Weg vor, der wissenschaftlich abgestützt ist. Jede Therapeutin und jeder Therapeut muss weiterhin eigenständig mitdenken, entscheiden und in Zusammenarbeit und mit dem Einverständnis der Patient:innen behandeln. Es ist einfach eine einheitliche Leitlinie für Befund und Behandlungsplan. Durch diese saubere und strukturierte Darstellung können Patient:innen viel besser in den Behandlungsprozess integriert werden. Damit wird die Eigenverantwortung gestärkt. Jede:r Therapeut:in ist angehalten, mit individuellen Befunden, diversen Behandlungsmethoden, seiner klinischen Erfahrung und den individuellen Eigenschaften des Gegenübers die Vorgaben des Programms sinnvoll zu ergänzen. Das eigene Clinical Reasoning darf nicht verloren gehen. Das ist evidenzbasierte Medizin.

Wie ist die Branche bezüglich Digitalisierung unterwegs?
«Es gibt einige Treiber und auch Vorbehalte. Das kommt auch daher, weil der Umgang mit einem PC typischerweise nicht in die Welt der Physiotherapeut:innen gehört. Das kann man niemandem vorwerfen, denn bislang mussten wir Physiotherapeut:innen das nicht können. Ich erhalte oft die Rückmeldung, dass es störend ist, einen Monitor zwischen Patient:in und Physio zu haben – dieser wird als Barriere oder sogar als Störfaktor wahrgenommen. Deshalb ist es wichtig, dass Physiotherapeut:innen in die Entwicklung und Einführung eingebunden werden. Es muss ein praxisinterner und individueller Digitalisierungsweg definiert werden. Es braucht Sensibilisierung.»

Ist Datenschutz ein Thema?
«Ja, Datenschutz ist essenziell. Es braucht Klarheit, was mit den Daten passiert. Und es braucht Aufklärung darüber, dass ein effizientes Gesundheitswesen nicht an einem elektronischen Datenaustausch vorbeikommt. Man muss die Angst nehmen und die Chancen betonen. Es geht ja nicht nur um betriebsrelevante Kennzahlen, die aus einer Software wie FysioRoadmap rausgezogen werden können. Übergeordnet brauchen wir Physios eine Datenbasis, die unsere Arbeit bezüglich Wirtschaftlichkeit, Wirksamkeit und anderen Aspekten begründet, die Fortschritte und Vorteile für Patienten, Kostenträgern und Gesellschaft aufzeigt und uns bei Tarifverhandlungen unterstützt. Anonymisierte Daten sind der starke Rücken unserer Branche in der Zukunft. Wir sollten damit beginnen, uns als Kollektiv zu begreifen und miteinander nach vorne zu schauen.»

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